Wie Delia Lachance Westwing kreierte
- Susanna Riethmüller
- 20. Mai 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Nov. 2023
STRIVE+ | Mit Westwing ist Delia Lachance (38) ein Kunststück gelungen: Sie hat in wenigen Jahren eine digitale Lovebrand mit engagierter Community und treuer Kundschaft aufgebaut. Wie ist ihr das gelungen? Ein Gespräch über Innovationsgeist und unternehmerisches Bauchgefühl.
Fotos: Jan Pilarski

Delia, Westwing erwirtschaftet 82 Prozent des Umsatzes mit wiederkehrenden Kund:innen. Wie erreichst du diese Sogwirkung?
Unsere starke Kundenbindung entsteht durch Community-Building. Westwing ist persönlich und emotional, es macht unseren Kund:innen Spaß, sich über Einrichtung auszutauschen und auf dem Laufenden zu bleiben.
Wie entstehen bei euch Innovationen? Für den Club treffen wir uns jedes Quartal und fragen, was gerade Trend ist. Außerdem können alle Mitarbeiter:innen Ideen beim Executive-Team einreichen. Wichtig ist, regelmäßig innezuhalten und zu reflektieren, auch wenn es drunter und drüber geht. Wir machen in jeder Abteilung Quarterly-Business-Reviews, wo wir zu Innovationen und Optimierungen brainstormen.
Wie gehst du mit Fehlern um? Fehler gehören zum Prozess. Ich würde nicht sagen: „Hey, lasst uns alle möglichst viele Fehler machen!“ Aber wenn ein Fehler passiert ist, lernen wir aus ihm. Ich muss aber gestehen: Ich selbst bin nicht besonders risikoaffin, sondern taste mich gern heran.
„Mir war klar, dass wir Exklusivität brauchen. Wenn jeder mitmachen kann, wird es schnell beliebig.“
Wann zum Beispiel? Vergangenes Jahr haben wir unseren ersten Offlinestore in Hamburg eröffnet. Als digitale Brand war das ein Risiko. Wir hätten gleich deutschlandweit mehrere Stores eröffnen können, einen riesigen Aufschlag machen. Wir haben mit dem Gedanken gespielt, uns aber dazu entscheiden, das Konzept erst einmal in kleinem Rahmen zu testen. Wir tasten uns ran, probieren Dinge aus, ändern den Prozess – bis das Rezept stimmt. Erst dann skalieren wir.
Westwing wurde durch organisches Marketing groß – ein Businessmodell, mit dem du Vorreiterin in Deutschland warst. Welche Aspekte waren dabei besonders wichtig? Wir haben anfangs sehr wenig auf Paid gesetzt, das hätte bei unserer Zielgruppe nicht funktioniert. Sie will verstanden und dann mit passendem, anspruchsvollem Content versorgt werden – das machen wir bis heute in hoher Taktung. Beim Club schauen wir auf Mehrwert und Unterhaltung. Wir versenden täglich einen Newsletter, mit dem wir unterschiedliche Themen und Kund:innen ansprechen. Haben wir montags über DIY-Projekte geschrieben, schreiben wir Mittwoch übers Kochen und Donnerstag über den Trendurlaubsort für den Sommer. Und dazu machen wir eine ganze Welt auf.
Wie meinst du das? Wir zeigen nicht nur ein Produkt, sondern stellen es in einen Kontext. Steht eine Vase im Fokus, erklären wir, wie man sie richtig stylt. Wie arrangiert man Modelle in verschiedenen Größen, welche saisonalen Blumen passen rein und wie bindet man sie?

Du hast konsequent Hürden eingebaut. Der Club ist nur für registrierte Member zugänglich. Hattest du zu Beginn Angst, dass das abschreckend wirkt?
Mir war von Anfang an klar, dass wir Exklusivität brauchen. Wenn jede:r mitmachen kann, wird es schnell beliebig. Das ist eine Mentalität, die ich bei „Elle“ gelernt habe: die Mischung aus Zugänglichkeit und Träumen. Deshalb haben wir schon immer streng die Ästhetik des Shops im Blick gehabt, sie sogar manchmal über die Funktionalität gestellt.
Inwiefern? Ich will nicht, dass ein Kaufen-Button eckig und rot ist, nur weil er dann zum Klicken animiert. Ich will, dass er auch schön aussieht, zu unserer CI passt. Da komme ich zurück zu mir als Zielgruppe: Ich kaufe am liebsten dort, wo es schön ist.
Musstest du dich mit dieser Perspektive im Gründungsteam durchsetzen? Teilweise ja – aber genau das ist meine Aufgabe als Chief Creative Officer. Ich stehe dafür ein, Dinge zu machen, die oft mehr intuitiv als kalkuliert sind. Als Bauchmensch denke ich oft anders als die Kopfmenschen in meinem Team. Diese Balance macht uns gut.
Was heißt das in der Praxis? Wenn wir überlegen, welche Produkte wir fürs nächste Jahr machen, dann schauen Zahlenmenschen, was sich am besten verkauft hat. Ein beigefarbenes Sofa? Okay, davon produzieren wir mehr. So endet man in gähnender Langeweile und hat irgendwann nur noch beigefarbene Sofas im Shop. Schaut man sich ausschließlich die Reportings der letzten Jahre an, verpasst man die Trends. Eines unserer selbst designten Produkte aus der ersten Westwing-Collection war 2018 ein pinkes Samtsofa.
Das war wohl deine Idee ... Richtig. Für mich war Samt zu dem Zeitpunkt der Stoff, Millennial-Pink die Farbe. Das Team war schockiert, aber ich konnte mich durchsetzen. Diese Balance zwischen kreativem und analytischem Denken ist unser Erfolgsrezept.
Du hast eine Idee für ein Produkt – und Monate später kann man das bei Westwing kaufen? Ja, die besten Produkte entstehen aus einem persönlichen Need heraus. So haben wir einen unserer Bestseller entwickelt, die Couch Lennon. Wir haben uns ein cooles Sofa gewünscht, das modular ist, das man umbauen kann und das wirklich bequem ist – also perfekt für uns als Netflix-Generation. Wenn ein Produkt so eine Geschichte erzählt, dann ist es auch leicht zu vermarkten.
5 INNOVATIONS- TIPPS VON DELIA LACHANCE
1. MUT ZUM BAUCHGEFÜHL Wer nur auf die Zahlen schaut und reproduziert, was bisher erfolgreich war, wird nie innovativ sein. Man muss die Balance zwischen Analyse und Kreativität finden. Und daran glauben, dass eine Idee Erfolg haben wird.
2. UNTERNEHMERISCH DENKEN Wir arbeiten mit flachen Hierarchien und rüsten unsere Mitarbeiter:innen mit Tools aus, die ihnen helfen, eigenständig zu arbeiten. Jede:r Mitarbeiter:in kann jederzeit seine Ideen beim Execu- tive-Team einreichen.
3. SCHNELL UND AGIL ARBEITEN Wir probieren sehr viel aus – und wenn es nicht läuft, schiften wir sehr schnell auch große Budgets um und ändern unseren Kurs. So merken wir schnell, ob eine Idee Potenzial hat, und verrennen uns gar nicht erst in die falsche Richtung.
4. SYSTEMATISCHE TRANSPARENZ Je mehr Mitarbeiter:innen integriert sind, desto mehr können sie lernen – und desto mehr Verbundenheit und Verantwortungsgefühl entwickeln sie. Wir lassen sie systematisch teilhaben durch regelmäßige Insight-Sessions.
5. DEN EIGENEN RISIKOMODUS FINDEN
Ich taste mich gern langsam an Dinge heran und baue sie Schritt für Schritt auf, anstatt immer gleich volles Risiko zu gehen. Das dauert zwar länger, aber auf dem Weg passieren weniger Feh- ler, und der Erfolg ist oft nachhaltiger.
Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal von Westwing bist immer noch du. Ohne dich als Gesicht wäre die Marke weniger stark. War das von Anfang an einkalkuliert, Teil der Geschäftsidee? Es war uns klar, dass wir ein Gesicht brauchen, das die Marke repräsentiert. Ich war im Team diejenige mit der großen Leidenschaft für Interior und Kreativität – das ist der Kern der Brand, insofern lag das nahe.
Zum Marketing gehört auch deine starke Präsenz auf Instagram. Als „delia_westwing“ bist du mit fast 145.000 Followern eine der erfolgreichsten Business-Influencer – und hast auf diesem Gebiet in Deutschland Pionierarbeit geleistet. Dabei habe ich die Wirkung von Instagram anfangs massiv unterschätzt, wollte nicht in das Thema investieren. Erst 2014 habe ich mich angemeldet. Mich als Teil von Westwing zu präsentieren, fühlt sich für mich natürlich an. Es ist meine Brand – das in der Außenwirkung zu trennen, wäre für mich unauthentisch.
Deine Fotos sind perfekt inszeniert, trotzdem wirken sie nicht gestellt. Wie gelingt das? Weil das keine kalkulierte Inszenierung ist, es gibt keinen langfristigen Plan. Es ist wie bei den Westwing- Produkten: Ich verlasse mich auf mein Gefühl. Das funktioniert, weil ich meiner Zielgruppe nahe bin. Meine Community ist über die Jahre mit mir gewachsen, uns beschäftigen dieselben Themen. Das fing in der Singlewohnung an und ist jetzt beim Familienhaushalt angekommen.

Du gibst auf deinem Kanal private Einblicke, zeigst Bilder deiner Kinder und der Hochzeit. Auf ihr hast du gezielt Westwing-Produkte integriert, die Bilder wurden in Magazinen und im Internet veröffentlicht. Wo ziehst du die Grenze? Auch das mache ich nach Gefühl. Ich frage mich: Was nützt meinem Unternehmen? Aber vor allem: Fühle ich mich damit wohl, das zu teilen? Meine Hochzeit habe ich gern gezeigt – und natürlich wollte ich mit Produkten von uns dekorieren. Das bedeutet mir ja auch etwas. Was meine Kinder betrifft: Ich finde es konsequent – und wenn man so will auch fair –, sie zu zeigen. Wir haben bei Westwing viele Homestorys, in denen andere ihr Familienleben zeigen. Ich liebe das! Für mich würde es nicht passen, wenn ich meine eigene Familie ausklammere. Das wäre der Punkt, an dem es unauthentisch wird.
Wie viel deiner Arbeitszeit fließt in Instagram als Marketingtool? Nur ein kleiner Teil, vielleicht ein Sechstel meiner Zeit. Ich überlege immer: Was hat im Unternehmen
Priorität? Ist etwas anderes gerade wichtiger als
Instagram, mache ich das andere. Es gibt viele Tage,
an denen ich nichts poste, einfach, weil die Zeit nicht reicht.
Wie groß ist das Team hinter deinem Account? Mich unterstützt dabei eine Kollegin. Meist produzieren wir die Inhalte ganz simpel mit dem Smartphone.
„Ich weiß, wie wichtig meine Fotos bei Instagram für den Unternehmenserfolg sind.“
Du hast in Interviews erzählt, dass du es anfangs schwer hattest, als Unternehmerin ernst genommen zu werden. Seit wann wirst du nicht mehr gefragt, ob du nur Fotos machst, sondern tatsächlich bei Westwing arbeitest? Es wird immer Leute mit Vorurteilen geben. Ich denke nicht mehr so viel darüber nach, was andere von mir halten. So viele Menschen lachen über die, Kardashians, aber schaut doch mal, wie erfolgreich die sind! Wenn jemand über meine Fotos bei Instagram lacht, ist es so. Ich weiß ja, wie wichtig sie für den Unternehmenserfolg sind.
Apropos Erfolg: Zahlreiche ehemalige Westwing- Mitarbeiter:innen haben inzwischen selbst gegründet. Daraus sind Erfolgsgeschichten wie Personio oder Scalable Capital entstanden. Wie schafft man eine solche Arbeitskultur? Wir unterstützen unternehmerisches Denken, haben flache Hierarchien und fördern eigenständiges Arbeiten. Wir rüsten unsere Mitarbeiter:innen mit Tools zum Selbstmanagement aus und arbeiten mit OKRs, also Objectives and Key Results. Solche Zielsetzungsmethoden sind gerade für Creatives am Anfang sehr ungewohnt, werden aber schnell geschätzt. Und wir involvieren unsere Mitarbeiter:innen sehr stark, wecken ihr Verantwortungsgefühl fürs Unternehmen.
Inwiefern? Zum Beispiel über Insight-Sessions. Mitglieder des Leading-Teams geben Einblicke zu bestimmten Themen. Wir versuchen, möglichst viele Touchpoints zu kreieren, an denen man sich austauschen und von anderen lernen kann.
Rund 25 Prozent deines Unternehmens gehören Rocket Internet. Wie viel Gründerspirit von Rocket steckt in Westwing? Wir schauen uns von Rocket Internet ab, schnell und agil zu sein. Diese Flexibilität gehört zur Westwing- DNA. Ein aktuelles Beispiel: Wir haben in Tiktok einiges investiert – und dann festgestellt, dass das nicht läuft. Also haben wir die Budgets zügig umgeschichtet, sie in Videos für Youtube und Instagram gesteckt. Jetzt merken wir, dass die Zielgruppe doch jünger ist als gedacht, und stecken wieder mehr Geld und Arbeit in Tiktok. Als Unternehmen muss man offen für stetige Veränderung sein.

Delia Lachance zu Gast im neuen
STRIVE-Podcast
Wie hat sie es geschafft, eine innovative Marke zu kreieren? Welcher Marketingansatz steckt dahinter und was macht ihn so besonders? Und welche Rolle spielt ihre Personal Brand für den Erfolg von Westwing? Darüber spricht die Gründerin und Chief Creative Officer von Westwing Delia Lachance mit STRIVE- Herausgeberin Katharina Wolff in unserem Podcast „STRIVE up your Life“. Zu hören ab dem 7. Juni hier.
Zur Person:
Delia Lachance, geborene Fischer, kam 1985 zur Welt. Nach einigen Jahren als Redakteurin bei der Zeitschrift „Elle Decoration“ gründete sie 2011 den Interior-Onlinehandel Westwing, zusammen mit Stefan Smalla, Tim Schäfer, Matthias Siepe und Georg Biersack. Als exklusiver Club mit Newsletter-Sales gestartet, betreibt Westwing inzwischen auch einen permanenten Onlineshop. 2018 startete die eigene Westwing-Collection, die heute rund 45 Prozent des Umsatzes ausmacht. Im selben Jahr ging das Unternehmen an die Börse. 2022 öffnete der erste Westwing-Shop in Hamburg. Das Unternehmen ist in elf Ländern aktiv und beschäftigt rund 1.700 Mitarbeitende. 2022 machte Westwing 431 Millionen Euro Umsatz. Delia Lachance fungiert als Chief Creative Officer. Sie lebt mit ihrem Mann, dem kanadischen Immobilienentwickler Maxime Lachance, und den beiden gemeinsamen Kindern in Portugal und München.
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